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Der Wille und die Energie einer Kämpferin im Dienste der Blinden­bildung

 

Ein Interview von Julia Quintanar und Isabel Garcia-Gill

 

Photo Copyright Julia Quintanar: «Guillermina hat immer ein ansteckendes Lächeln»

Guillermina Chaillou wird Assistenztrainerin für die neue Phase des pretac+-Projekts (association genevoise pour le dépistage tactile), die im Mai 2021 beginnt und bis März 2022 dauern wird. Sie wird helfen, sehbehinderte und blinde Frauen in der Brustpalpation zu schulen. Am Ende des Kurses wird diesen Frauen der Titel «Manuelle-Taktile Untersucherin» (MTU) verliehen. Das von dem deutschen Arzt Dr. Hoffmann entwickelte System discovering hands® nutzt die hypersensiblen Finger von blinden Frauen, um kleinste Gewebe­unregelmäßigkeiten zu erkennen. In Genf findet der Unterricht im «Maison du Bonheur» statt, nur einen Steinwurf vom Bahnhof Cornavin entfernt.

Guillermina ist hilfsbereit, grosszügig und kennt die Blinden gut. Ursprünglich aus dem französischen Baskenland stammend, kam sie kurz nach ihrer Scheidung mit ihrer kleinen Tochter nach Genf. Trotz allen Schwierigkeiten des Lebens zeigt sie immer ein ansteckendes Lächeln, das den Menschen um sie herum Mut und Freude vermittelt. Und sie hat immer Wert darauf gelegt, einen Teil ihrer Zeit der ehrenamtlichen Arbeit zu widmen.

Ihre Berufung, Menschen zu helfen, und ihr Einfühlungsvermögen, kombiniert mit ihrer beruflichen Erfahrung in EMS (Etablissements Médico-sanitaires / Medizinische und Gesundheits­einrichtungen) haben sie auch dazu gebracht, sich als Freiwillige im CESCO (Centre de soins continus, pour patients en phase terminale) zu engagieren.

Begleiterin am Ende des Lebens

«Ich hielt die Hände der Patienten, hörte mir ihre letzten Wünsche an, ihre Ängste vor dem Tod und ihren Wunsch, mit Menschen ausserhalb ihres Familienkreises zu kommunizieren. Paradoxer­weise habe ich viel über das Leben gelernt, indem ich Menschen in den Tod begleitet habe», erzählt Guillermina bescheiden.

Als sie in Genf ankam, fand sie schnell einen Job, um ihr Leben als Alleinerziehende zu bestreiten. Da ihr Ex-Mann Schuhmachermeister bei der franzö­sischen Armee war, kam sie auf die Idee, als kaufmännische Angestellte beim besten Schuhmacher in Genf, am Place Longemalle, zu arbeiten. In dieser Position, die sie fast ein Jahrzehnt lang innehatte, stand Guillermina im direkten Kontakt mit der Öffentlichkeit. Als die Gründer der Schuhmacherwerkstatt verstarben, zog sie es vor, den Beruf zu wechseln. «Das Ehepaar war wie Eltern für mich gewesen und hatte mir viel beigebracht», sagt sie mit einem Hauch von Nostalgie.

Zurückkommen und Lernen

An diesem Punkt in ihrem Leben nahm sie eine neue Wendung und gründete ihr eigenes Leder­verarbeitungsgeschäft im Stadtteil Eaux-Vives: Sie reinigte altes Leder, renovierte und färbte es. Nach einigen Jahren wurde Guillermina krank. Das Ledergeschäft musste sie wegen der gesund­heitlichen Auswirkungen, die der Einsatz bestimmter Chemikalien mit sich bringt, aufgeben.

Guillermina hat nicht aufgegeben und versucht, sich neu zu erfinden. Sie wurde von dem Schönheits­institut eingestellt, das sich gegenüber von ihrem Laden befindet. Sie lernt Massage und wechselt erfolgreich in den Bereich der Ästhetik. Als sie 2001 nach Frankreich zurückkehrte, eröffnete sie mit ihrer Schwester einen Schönheitssalon in Biarritz, der Stadt, in der ihre Familie lebt.

Im Dienste der Blinden und Seh­behinderten

Im Jahr 2014 beschloss sie nach Genf zurückzukehren um ihrer Tochter zu helfen, die Mutter werden wollte. Seitdem leben die Grossmutter, ihre Tochter und ihr Enkel in Harmonie zusammen. Sie nahm die Arbeit in einem EMS wieder auf und kam in Kontakt mit dem SBV (Schweizerischer Blinden- und Sehbehinderten­verband). Nachdem sie vier Jahre lang ehrenamtlich in einer Kreativwerkstatt für Blinde gearbeitet hatte, wurde sie eine der Vermittlerinnen für die SBV. Die Teilnehmer gestalten Objekte mit recycelten Materialien: Korken, Kaffeekapseln, Streichhölzer, Perlen und andere Fundstücke.

Jede Woche arbeitet Guillermina mit blinden Menschen, die zu Heimwerker-Experten geworden sind, und leitet sie in einer freundlichen, gutmütigen und fröhlichen Atmosphäre an. «Alle Objekte, die wir gemeinsam herstellen, werden an Heiligabend verkauft. Die Einnahmen aus dem Verkauf ermöglichen es uns, Grundmaterialien zu kaufen und ein kleines Fest unter uns zu feiern», erklärt Guillermina. «Dank ihres extremen Tastsinns haben blinde Menschen ein Talent zum Basteln, sie können zum Beispiel winzige Perlen auffädeln, die ich kaum sehen kann.»

 Offenheit für andere und unverwüstliche Motivation

Guillermina erfuhr von pretac+, als die Präsidentin des Pilotprojekts das «Maison du Bonheur» entdeckte, den zentralen Ort für die MTU-Kurse. Da es an einem weiblichen Vorbild fehlte und Guillermina mit sehbehinderten Menschen vertraut war, fragte die Präsidentin, ob sie Interesse hätte. Sie zögerte nicht und glaubte sofort an dieses innovative Projekt, zumal einige der MTU-Kandidaten auch ihre Teilnehmerinnen in der Kreativwerkstatt waren.

Rasche Reaktion und Flexibilität

Als einer der Trainer seine eigene Ausbildung aufgeben musste, wurde Guillermina kurzfristig hinzugezogen, um das zweite Discovering Hands® Train-the-Trainer-Modul in Düren für neun Tage zu besuchen. «Die Kurse waren sehr intensiv», sagt Guillermina.

Nachdem sie Modul 2 mit Bravour bestanden hat, wird sie im Oktober nach Deutschland zurückkehren, um das Modul 1 zu besuchen und die Prüfungen abzulegen. Vorerst ist sie nun Assistenztrainerin, aber sie hat bereits mit der Neuorientierung begonnen.

«Ich war so motiviert, dass ich jeden Abend nach dem Unterricht zum Abendessen ging und dann wieder ins Klassenzimmer zurückkehrte, um zu üben und sicherzustellen, dass ich die richtigen Bewegungen und die Theorie gelernt hatte», sagt Guillermina. Bei den Abschlussprüfungen des zweiten Moduls in Düren wurde sie vom Ausbildungsteam von discovering hands® beglückwünscht.

Ein junger und starker Geist

Ihre unerschütterliche Motivation die Heraus­forderung anzunehmen, direkt auf höchstem Niveau zu starten, beeindruckte die Prüfung­skommission. Sie ermutigten sie nach­drücklich, weiterzumachen und ein richtiger Trainer zu werden. Eine neue berufliche Wendung, die sie mit 63 Jahren mit der Frische und Freude, anderen zu helfen, eines jungen Mädchens von 20 Jahren begann.

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