Sprache auswählen

Blind führt sie mit ihren Fingern einen Seidenfaden durch die Nadel einer Näherin...

Beitrag von Isabel Garcia-Gill

Der Verein pretac+ hat es sich zur Aufgabe gemacht, blinde oder sehbehinderte Frauen als MTUs (Manuel Taktile Untersucherinnen) in der "discovering hands®"-Methode der Brustpalpation auszubilden. 

Zemza, 30 Jahre alt, ist eine kleine und zerbrechliche Frau, nur dem Äußeren nach, denn tief in ihr steckt ein Wille und eine Entschlossenheit aus Stahl. Im Alter von 5 Jahren begann sie ihr Augenlicht zu verlieren und mit 7 Jahren war sie, wie zwei ihrer Schwestern, völlig blind. Sie ist eine der ersten Kandidatinnen für den Brusttastkurs.

Der Reiz dieses Trainings

«Ich möchte etwas von all der Hilfe zurück­geben, die ich erhalten habe, und anderen Frauen helfen, Brustkrebs zu verhindern. Ich bin sehr motiviert und bin sicher, dass ich schnell in diese Methode eingearbeitet werden kann. Ich lerne gerne, ich möchte endlich arbeiten und mich sinnvoll beschäftigen», sagt Zemza.

In Genf lernte sie, wie man mit dem Bus fährt, wie man sich mit dem weißen Stock in der Nachbarschaft bewegt, wie man einkauft und wie man selbstständig ist. «Früher habe ich mich nicht einmal getraut, allein auf die Straße zu gehen», sagt sie.

Magische Finger

Sie erklärt, dass ihre Mutter ihr von klein auf beibrachte, wie man eine Nadel einfädelt, dank ihres hoch entwickelten Tastsinns. «Ich kann einen Ohrring finden, der auf einen dicken Teppich gefallen ist, indem ich sanft mit den Fingern durch ihn fahre», sagt sie.

Kurz nachdem sie in Afghanistan geboren wurde, verließen ihre Eltern ihre Heimat, um dem Krieg zu entkommen. Im benachbarten Pakistan ist das Leben für diese Familie mit sieben Mädchen, von denen drei blind sind, und einem Jungen, nicht einfach. Die kleine Zemza fühlt sich abgelehnt, fremd und verängstigt.

Stiftung SERVE: Erster Schritt

Wie ihre blinden Schwestern kann sie auf­grund ihrer Behinderung und ihrer Nationalität nicht in die Schule aufgenommen werden. Doch erst in Pakistan begann sie, die Blindenschrift zu erlernen - dank der humanitären Arbeit der Stiftung SERVE, die Flüchtlinge in diesem Land in den Bereichen Gesundheit, Integration und Bildung unterstützt.

Die Pädagogen der Stiftung besuchen die Familie und versuchen, die sieben Kinder in eine Grundschule mit nicht behinderten Kindern zu integrieren. Dann beantragen sie den Besuch einer Sonderschule für Seh-behinderte, was aber für Zemza und ihre beiden blinden Schwestern unmöglich ist.

Wissensdurstig

Schließlich kam die Erzieherin ins Haus, um den drei blinden Mädchen Mathematik und Englisch beizubringen. Doch die zielstrebige Zemza will noch weiter gehen. Sie träumt davon, andere Dinge zu lernen und ein wenig mehr Unabhängigkeit zu erlangen. Im Alter von 15 Jahren gelingt es ihr, eine Sprachschule zu finden, die sie aufnimmt. Sie lernt fliessend Englisch zu sprechen, weil sie sich bewusst ist, dass ihre Muttersprache Dari ihr nicht viele Türen öffnen wird.

Mit 18 verlässt ein Freund ihres Vaters Pakistan, um anderswo sein Glück zu suchen. Zemzas Familie in Afghanistan vertraut sich diesem Freund an, um ihrer Tochter zu helfen, die unbedingt etwas Neues lernen möchte. Nach einer langen Reise kommt Zemza in der Schweiz an und beschließt, dort zu bleiben, während der Freund der Familie weiter nach Kanada zieht.

Merci an ABA

«Meine Ankunft in Genf war nicht einfach. Hier kannte ich weder die Sprache noch die Mentalität, aber ich wurde sehr gut aufge­nommen, vor allem dank der Unterstützung von ABA (Association pour le Bien des Aveugles), die sich um mich kümmerte und mir alle möglichen Hilfsmittel zur Verfügung stellte, einschließlich der Unterstützung durch einen aussergewöhnlichen Ergotherapeuten. »

«Am Anfang teilte ich ein Zimmer mit einer anderen afghanischen Frau, die auf Asyl wartete. Leider war sie nicht in der gleichen Gemütsverfassung und ausserdem verstand sie meine Schwierigkeiten nicht. Keine von uns sprach ein Wort Französisch», erzählt Zemza heute erleichtert.

Der Computer: Eine Offenbarung

 

«Die große Offenbarung, die mir die Augen für die Welt öffnete, natürlich im übertragenen Sinne, war die Anschaffung eines Computers. Dank dieses Instruments kann ich mit dem Wissen und mit der ganzen Welt in Kontakt sein. Ich lerne dort viele Dinge. In der Tat ist es meinem Computer zu verdanken, dass ich so leicht Französisch gelernt habe.»

«Mein Lebenstraum wäre es, als Telefonistin oder Empfangsdame in einem Büro zu arbeiten. Und die Arbeit mit einem Arzt klingt spannend und sehr erfüllend.»

Bei Zemza, zu Hause in Genf

Zemza hat nicht die Absicht, Genf zu ver­lassen, wo sie sich jetzt zu Hause fühlt. Dort lebt sie schließlich allein in ihrer kleinen Wohnung. Sie besitzt eine B-Genehmigung und hofft, die 2018 beantragte Nieder­lassungs­erlaubnis C zu erhalten. Wenn sie einen kleinen Job hätte, wäre es ein großer Erfolg, auf den sie stolz wäre.

Artikel PDF